Zurückliegende Veranstaltungen
Bis Samstag, 28. August 2021
Der Zauberberg
Von der ersten Volks-Lungenheilstätte Deutschlands
zum Kulturzentrum mit Flair
Führungen im Rahmen der Tage der Industriekultur Frankfurt RheinMain und Besichtigung der Klangkunst-Installationen des Kulturfonds Frankfurt RheinMain
25., 26., 27. und 28. August 2021
Seit 2010 nimmt das Museum Kelkheim an den Tagen der Industriekultur teil, immer zum Fokusthema – in diesem Jahr: Vernetzung.
Da lag es nahe, den Zauberberg in Ruppertshain zu wählen. Als erste Volks-Lungenheilstätte für Arbeiterinnen und Arbeiter gehört er zur Route der Industriekultur. Schon für die Entstehung war es nötig, dass sich der Rekonvaleszenten-Verein in Frankfurt vernetzte für die nötige ärztliche Beratung, finanzielle Unterstützung und Bauplanung. Und auch heute vernetzt der denkmalgeschützte „Zauberberg“ mit seinem pulsierenden kulturellen Leben Musiker, Literaten, Maler und Bildhauer.
Das Interesse war so groß, dass statt der zwei geplanten vier Termine mit insgesamt mehr als 100 Gästen angeboten wurden.
V.l. Stadtrat Thomas Weck (CCZ Creativ Concept Zauberberg), Bürgermeister Albrecht Kündiger und die Künstlerin Lea Letzel bei der Begrüßung
Die Führungen teilten sich Marianne Bopp, Museumspädagogin im Museum Kelkheim, und die Kölner Künstlerin Lea Letzel. Im ersten Abschnitt ging es um die Geschichte des Zauberbergs, im zweiten stellte die Künstlerin ihre Klangkunst-Skulpturen vor, zwei Liegen, die auch gleich von den Gästen ausprobiert werden konnten.
Marianne Bopp erläuterte die Gründe und Voraussetzungen für den Bau der Heilstätte für „unbemittelte“ Arbeiter und Arbeiterinnen, die im Jahr 1895 in Ruppertshain eröffnet werden konnte. Damals gab es 72 Plätze für an Tuberkulose Erkrankte. Alles war streng, aber schon gleichberechtigt nach Geschlechtern getrennt.
So gab es eigene Treppenhäuser, Speisesäle und Liegehallen für jeweils 36 Männer und 36 Frauen. Die Behandlung bestand damals vor allem aus guter Luft, viel Ruhe und gutem, fettreichen Essen. Besonders wichtig war dabei die Liegekur, übernommen vom ärztlichen Berater Dr. Peter Dettweiler vom Sanatorium in Falkenstein: Über Stunden lagen die Erkrankten vormittags, nachmittags und bis in den Abend hinein in den offenen Liegehallen. Die besondere Architektur des imposanten Gebäudes war ein weiterer Aspekt der Führung.
Wenig bekannt ist heute, wie wichtig damals die Dachkämme waren - hier stilisierte Liliensträuße -, die sich gut sichtbar gegen den Himmel abheben sollten. Noch heute ziehen sie sich über die Firste der Dachlandschaft, die schon von Weitem mit ihren bunten Bändern und Zick-Zack-Linien in den Bann zieht.
Im Jahr 1900 wurde die Volks-Lungenheilstätte Ruppertshain auf der Weltausstellung in Paris beispielgebend präsentiert, und schon bald orientierten sich an ihr auch die Vorschriften für den Heilstätten-Bau.
Marianne Bopp zeigt den "Blauen Heinrich" (Taschenspucknapf für Tuberkulosekranke) und die Davoser Liege, die in Ruppertshain erfunden wurde.
Immer wieder gab es Erweiterungen. Der Anspruch war, den Patienten die jeweils modernsten Behandlungsmethoden zu bieten. Das bedeutete z.B., dass ein Röntgengerät angeschafft wurde und auch die Aufnahmen vor Ort entwickelt wurden. Weitere Spenden ermöglichten es, ein zweites Gebäude zu erstellen, den sogenannten Frauenbau. In etwas einfacheren Formen gehalten, stimmt vor allem das Dach mit dem ersten Gebäude überein, das nun Männerbau genannt wurde. Da Küche und Speisesäle gleich mit neu gebaut wurden, konnten im Männerbau seitdem 100 Patienten unterkommen. Im Frauenbau gab es nur 34 Plätze, der Tatsache geschuldet, dass Frauen weniger anfällig für Tuberkulose waren.
Beim Weg um den großen Gebäudekomplex machte Marianne Bopp auch immer wieder auf die Künstlerateliers aufmerksam und die zahlreichen Skulpturen verschiedener Künstler, die das Gelände bereichern.
Im Norden fiel der Blick auf die letzten Aufstockungen, die die Kapazität auf 250 Betten steigerten, und auf das Betriebsgebäude von 1909, das zudem Schwitz- und Inhalationsräume enthielt. Dabei ging es auch um die Fortschritte in der Tuberkulose-Behandlung. Die revolutionäre Nutzung der Sulfonamide für Medikamente durch Gerhard Domagk führte dazu, dass die Heilstätte lange Jahre nach diesem Nobelpreisträger benannt war. Die Entwicklung einer Art Chemotherapie mit mehreren Antibiotika war letztlich so erfolgreich, dass die Patientenzahlen deutlich zurückgingen.
Als Folge wurde die Gerhard-Domagk-Klinik im Jahr 1982 geschlossen. Das Schicksal der Gebäude war ungewiss, selbst der Abriss drohte. Das konnte zum Glück verhindert werden. Heute steht der Zustand von 1910 unter Denkmalschutz, dazu gehören auch jenseits der Robert-Koch-Straße bzw. der Straße nach Eppenhain die Arztvilla, das Maschinenhaus, das Werkstattgebäude und das Ökonomiegebäude. Der ganze Komplex genießt Ensembleschutz.
Unter vielen Kaufinteressenten setzte sich eine Investorengruppe durch, die hier deutsche Spätaussiedler unterbrachte. In der Folge wurde der Komplex aufwändig renoviert, um hier Wohnungen, Ateliers, Praxen, Büros und Gastronomie unterzubringen, dem Motto der Investoren gemäß, „Wohnen – Leben – Arbeiten – Freizeit“ an diesem Ort zu vereinen. In Abstimmung mit dem Denkmalschutz wurden dafür leichte Veränderungen vorgenommen. Z.B. wurden an der Südseite des Männerbaus Balkone angefügt und die Gauben geändert.
1997 setzte sich der Name „Zauberberg“ für die Anlage durch, in Anlehnung an den Roman von Thomas Mann, der in einem Schweizer Lungen-Sanatorium spielt. Dort erhielten die Patienten die gleiche Behandlung wie die Arbeiterinnen und Arbeiter in der Volksheilstätte Ruppertshain.
Auf dem Weg zu den Klanginstallationen genossen die Gäste noch den atemberaubenden Blick auf die Frankfurter Skyline, hier aus einem ungewohnten Blickwinkel zu genießen und bei der letzten Führung in ein ganz besonderes Wechselspiel aus Sonnenlicht und Wolkenschatten getaucht.
Marianne Bopp dankte den Gästen für ihre Teilnahme und übergab die Gruppe nach Applaus an Lea Letzel.
Die Künstlerin führte zu den beiden Liegen auf der Wiese unterhalb des Parkplatzes.
Nachdem sie ihren Werdegang skizziert hatte, beschrieb sie ihre Faszination für den Zauberberg seit dem ersten Anblick bei der Fahrt von Fischbach hoch. Bei dieser Fahrt hatte ihr Dr. Julia Cloot vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain verschiedene Orte für das Klangkunstfestival angeboten. Die Wahl fiel nicht schwer.
Es folgte die intensive Beschäftigung mit der Liegekur bis zu den Davoser Liegen von Dr. Peter Dettweiler, auch erwähnt im ersten Teil der Führung. Dabei ging es Lea Letzel um ein niedrigschwelliges Angebot.
So entwickelte sie zum einen die große wippende Liege. Statt Wasser, das bei bestimmten Therapie-Liegen durch deren Rohre geführt wurde, bewegen sich hier Kugeln in den Kufen. Beim Wippen erzeugen sie einen kullernden Klang. Das wurde bei allen Führungsterminen von den Besuchern sofort und gerne ausprobiert.
Bei der zweiten Konstruktion ist eine gleichartige Liege als Schaukel in ein großes Gestell eingehängt. Beide Enden der Liege enthalten Windharfen, eine Kombination von über die gesamte Breite gespannten Gitarrensaiten und einem flachen Trichter, der den Wind auf die Saiten führt. Nicht bei allen Terminen kam der Wind ausreichend aus der erforderlichen Richtung, um die magisch klingenden Töne zu erzeugen. Es ist halt ein bisschen Geduld nötig, um auf den richtigen Wind zu warten. Schließlich forderte die Liegekur auch Zeit und Geduld.
V.l.: Dr. Julia Cloot (stellv. Geschäftsführerin des Kulturfonds Frankfurt RheinMain), Museumspädagogin Marianne Bopp, Bürgermeister Albrecht Kündiger, Kultureferentin Dr. Beate Matuschek und Künstlerin Lea Letzel
Die Künstlerin stellte heraus, dass auch die schwefelgelbe Farbe Bezug nimmt auf die Liegekur: Sie verfremdet das satte Gelb der Bambusgestelle der Davoser Liegen. Trotz des Namens wurden sie in Falkenstein von Dr. Peter Dettweiler entwickelt.
Beide Kunstwerke entsprechen außerdem den Sicherheitsbestimmungen. Sie sind von einem Spielplatzgutachter überprüft und abgenommen worden.
Immer wieder wurde die Frage gestellt, ob die Kunstwerke nicht über das geplante Ende am 29.08.2021 hinaus hier stehenbleiben könnten. Vielleicht gelingt es, dass Kulturfonds, Stadt und CCZ Zauberberg für die Beibehaltung zusammenwirken. Das würde auch die Künstlerin freuen.
So konnte jeweils der Nachmittag mit Schaukeln und Wippen ausklingen, vielleicht noch gefolgt von einem Stopp im Café Zauberberg, im Restaurant Merlin oder an der Bar im Felsenkeller.
Vorher gab es aber auch für Lea Letzel noch den verdienten Applaus.
Text: Marianne Bopp
Fotos: Wolfgang Pfankuch und Jürgen Moog
Mittwoch, 25. August 2021 15:00 Uhr