Bildvortrag von Rüdiger Kraatz

„Vom Thing zum Runden Tisch“  

Über die Geschichte der Parlamente in Deutschland

am Sonntag, 1. Oktober 2023, 19:00 Uhr im Museum Kelkheim

aus Anlass des Jubiläums der Paulskirchenversammlung vor 175 Jahren

Der Vortrag bot eine bebilderte Übersicht über die Entwicklung des Parlamentarismus und der Verfassungen in Deutschland.

Nach einer kurzen Einführung in die Vorformen parlamentarischer Systeme (Thing, Hoftage, Reichstage)  wurden die entscheidenden Etappen im 19. Jahrhundert vorgestellt, dem Zeitalter bürgerlicher Revolutionen.

Geistesgeschichtliche Vorbereiter waren eine große Anzahl von Aufklärern wie Locke, Montesquieu, Rousseau oder Kant, deren wirkmächtiger Einfluss kaum überschätzt werden kann.  Zwei historische Hammerschläge zertrümmerten schließlich das alte Europa der Könige: die industrielle Revolution und die politischen Revolutionen, die meist ihre Impulse aus Frankreich erhielten.

Nach der Niederlage Napoleons versuchten die europäischen Monarchien, das alte System zu rekonstruieren und zu bewahren, bis 1848 mit begrenztem Erfolg. Die Epoche des Vormärz und die Revolution von 1848/49 wurden ausführlich besprochen, einschließlich der Gründe für Erfolge und ihr Scheitern.

Von großer Bedeutung war natürlich das von den Parlamentariern entwickelte Verfassungswerk. Damit wurden die Grundlagen gelegt für die Verfassungen des Zweiten Deutschen  Kaiserreichs, der Weimarer Republik und für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Demokratische Institutionen und Verfahren haben sich langsam und in Sprüngen fortentwickelt. In dieser Präsentation werden die Bruchlinien und Entwicklungen deutscher Geschichte illustriert und Gelegenheiten für  durchaus kontroverse Denkansätze eröffnet.

In einem abschließenden Kapitel wurden die verschiedenen Varianten deutscher Geschichtsbetrachtung verglichen, die kritisch-republikanischen (Jörg Bong, Klaus-Peter Klingelschmitt) und die liberal- demokratischen (Heinrich August Winkler, Hedwig Richter, Thomas Nipperdey), deren Bearbeitung entweder vor allem als journalistisch oder historisch-objektiv beschrieben werden kann.

Im Zuge der Feiern zum 175ten Jahrestag der Paulskirchenversammlung mehren sich die Bemühungen, dieses Jubiläum als gesamteuropäisches Demokratieereignis zu würdigen. Im Verteidigungskampf um die bundesrepublikanische Demokratie werden Erinnerungsorte und freiheitliche Gründungsmythen für unser kollektives Gedächtnis gesucht. In diesem Zusammenhang erscheint die Revolution von 1848/49 als modellbildender Vorläufer der Bundesrepublik. Auch die Weimarer Republik „soll eben nicht länger nur die Vorgeschichte des unvermeidlichen Untergangs sein, sondern der Beginn einer starken, wehrhaften und modernen Demokratie, der womöglich ein langes, glückliches Leben beschieden gewesen wären, wären da nicht ihre antidemokratischen Eliten gewesen, die sie von innen heraus zersetzt und am Ende zerschlagen hätten.“ (Peter Neumann in „Die Zeit“ v. 17.5.2023)

In dieser Begründungskette scheint hinwiederum die Analyse der Ursachen des Nationalsozialismus in Deutschland etwas in den Hintergrund zu geraten. Die Diskussionen werden mit Sicherheit lebhaft weitergeführt werden.

Der Abend schloss mit einer ausführlichen Diskussion der Teilnehmer über diese Fragen bzw. vor allem über den Status und die Zukunftsfähigkeit der Demokratie in Deutschland und der Welt.

Text: Rüdiger Kraatz

Fotos: Jürgen Moog